Ein Bürobau aus den Sechzigern, schlicht und schmal, in einem Gewerbegebiet von Oberwil BL. Ringsum: Gleise, Lager, Werkstätten, eine Freikirche, ein Bettenhaus.
An diesem unscheinbaren Ort sitzt ein aufregendes Unternehmen – BLT, Baselland Transport. Drinnen gibt es lange, dünne Flure und auf den Fluren Körbe mit Äpfeln und Birnen vom Bauernhof.
Willkommen zum Gespräch mit CEO Andreas Büttiker, es ist ein Mittwoch im September. Der Chef, Anfang sechzig, ist gross und schlank, er trägt Bürstenschnitt. Vor seinem Büro quietschen die Bahnen, übers Fensterbrett bummelt ein quietschgelbes Tram aus Papier.
«Wir müssen die Leute vom Auto wegbringen!» Fragt man Büttiker nach Chancen und Risiken für den Nahverkehr, hält er aus dem Stegreif eine Rede, lebendig, zündend, überzeugend. Der ÖV habe schweizweit einen Anteil von 21 Prozent an der Mobilität; der Rest falle aufs Auto. «Der Verkehrskollaps droht, ein Wandel ist nötig.» Und BLT, das spürt der Besucher schnell, will ein Protagonist in diesem Wandel sein.
6007 - Mit der Lizenz zum Fahren
Seit zweieinhalb Jahrzehnten ist Büttiker das Gesicht von Baselland Transport. Mister BLT, so nennen sie ihn. Er lacht gern, er gestikuliert, er hat eine Vorliebe für flotte Sprüche. «Führen durch Vorbild» gehört dazu. Oder, weil der CEO auch der Pressesprecher ist: «Bei mir haben sie Originalton. Hier kocht der Chef selbst.» Ja, der Mann hat Feuer, kein Wunder, meint er: Eine Grossmutter kam aus dem Tessin. In der Jugend lebte Büttiker im Iran, er wollte Militärpilot werden, doch dann studierte er Ökonomie in Basel und blieb in der Region. In Therwil wohnt er, das ist ein kurzer Weg.
Nach dem Studium ging Büttiker zu IBM, er war in der IT-Branche, wollte gern Unternehmer werden. Wie kam er zu Baselland Transport?
Ganz klassisch, über ein Inserat in der NZZ. «Direktor» hiess der Posten damals noch, und BLT hatte 180 Leute, er kannte sie alle mit Namen.
Als Erstes machte der neue Chef seinerzeit eine Ausbildung – zum Tramlenker. Das hiess: 120 Stunden Fahrpraxis pro Jahr. Er war auf allen Linien unterwegs, Dienstnummer 6007, der Direktor mit der Lizenz zum Fahren. «Davon habe ich lange nicht erzählt», sagt er, und schon sprudeln Anekdoten. Wie er bei einer Störung Blut geschwitzt hat, das Tram ruckelte nur durch die Stadt. Alle Fahrer wussten: «Der Büttiker hat ein Problem.» Bis einer sich erbarmte und fragte: «Hast du schon neutralisiert?» System runter, System wieder rauf, hiess das. Oder wie er am Aeschenplatz einmal erschrak, weil er glaubte, verspätet zu sein, er machte Tempo, doch dann hörte er eine Stimme, die Dame aus der Leitstelle: «Grüezi, Herr Büttiker. Darf ich Ihnen sagen, dass Sie zweieinhalb Minuten zu früh sind?»

«Zuverlässigkeit, pünktlich, sicher - das ist der Dreiklang unserer Dienstleistungen. »
Das Tramfahren habe überaus angenehme Seiten, erinnert sich Büttiker. «Eine Fahrt durch das Leimental zum Beispiel, am frühen Morgen, mit achtzig Stundenkilometern – wunderschön. Wenn der Frühling kommt, wenn die Landschaft erwacht. Oder: mit Vollgas durch den Nebel. Aufregend ist das!»
Eine Bahn in jedem Tal
Baselland Transport: Das Unternehmen gibt es erst seit den Siebzigern. Zuvor hatte jedes Tal eigene Bahnen in eigenen Farben. Die transportierten auch Milch und Tiere.
Vor den Toren der Stadt wendeten die Trams und fuhren zurück. Wer nach Basel hineinwollte, musste für die zwei/drei Stationen umsteigen. 1974 fusionierten vier Vorortbahnen; BLT war geboren. Seither gibt es auch Linien durch die Stadt hindurch, 10, 11 und 17. Mit seinen Bahnen und Bussen ist BLT heute in drei Kantonen unterwegs, und eine Haltestelle liegt in Frankreich.
Wem gehört das Unternehmen? BLT ist zu 99 Prozent in öffentlicher Hand. 43 Prozent besitzt der Kanton Baselland. «Wir agieren aber wie ein privates Unternehmen», sagt CEO Büttiker. «Wir entscheiden selbst, wie wir mit unseren Mitteln umgehen. Überschüsse fliessen in die Rückstellungen.» Da bleibt Geld für Investitionen.
Wie hoch ist die Auslastung? Bei der Tramlinie 11 – Aesch, Basel SBB, Saint-Louis – beträgt sie fast hundert Prozent. Nur zwanzig Prozent oder etwas mehr sind es hingegen bei Strecken über kleine Dörfer, Raum Sissach, Eptingen. Für die Defizite kommen Kanton und Bund mit Leistungsaufträgen auf.
Wir möchten begeistern
Die Personalchefin ist beim Gespräch dabei, online, an einem anderen Tag. Alexandra Gasser stammt aus dem Badischen. Vor 22 Jahren kam sie nach Münchenstein, hat geheiratet und ist geblieben. Gasser absolvierte einst eine kaufmännische Lehre, war Office Managerin, machte dann ein Nachdiplomstudium. ÖV? Kannte sie bis dahin nur als Kundin. Seit 1. Januar 2020 ist sie Leiterin Personal bei BLT.
Frau Gasser, Herr Büttiker, welche Werte hat BLT? Und was sind Ihre Ansprüche? Büttiker antwortet knapp. «Wir wollen zu den Besten gehören. Zuverlässig, pünktlich, sicher – das ist der Dreiklang unserer Dienstleistungen.» Alexandra Gasser ergänzt: «Wir möchten begeistern – die Mitarbeitenden und die Fahrgäste.» Schnell, zack, wir machen das! So erlebt sie das Unternehmen und die Menschen darin. «Ja, immer einen Schritt voraus.»
Die Firma habe etwas Besonderes, das zeige sich in ihrem Motto: aus Leidenschaft anders und besser.

Teilen ist das neue Haben
«Wir sind im Wettbewerb», betont der CEO. Das Wort «innovativ» hat bei BLT deshalb einen besonderen Klang. Denn innovativ sein heisst attraktiv sein, für Kundschaft und Arbeitnehmende. Was können wir besser? Was machen andere besser? Ständig stelle man sich bei BLT diese Fragen, meint Büttiker.
«Innovativ» bedeutet in Oberwil: Sie haben Busse von Mercedes und neue Trams von Stadler. Sie haben WLAN in diesen Trams und das schon seit zehn Jahren. Seit sechs Jahren gibt’s die BLT-App, entwickelt von nur zwei Leuten.
«Ein eigenes Auto ist Verschwendung. »
Ein besonderes Kleinod ist die Waldenburgerbahn. Dreizehn Kilometer von Liestal nach Waldenburg. Die alte Bahn existiert nicht mehr. Die neue nimmt am 11. Dezember 2022 den Betrieb auf – selbstfahrend, hoch automatisiert, die modernste Schmalspurbahn Europas. Eine Bahn für die Zukunft, nachhaltig also.
«Innovativ» heisst in Oberwil weiter: BLT ist an Pick-e-Bike beteiligt, einem Joint Venture mit dem Energieversorger Primeo und der Basler Kantonalbank, 30 000 Kunden. Die Idee: mit E-Bike oder E-Scooter von der Haltestelle nach Hause. «Teilen ist das neue Haben», glaubt Büttiker. «Ein eigenes Auto ist Verschwendung.»
Warum wollen Sie Chauffeur werden?
Wer bei BLT anfangen will, muss sich ausfragen lassen: Warum wollen Sie Chauffeur werden? Was ist Ihr Antrieb, die Motivation? «Wir spüren ihnen den Puls», sagt Alexandra Gasser, die Personalchefin.
Baselland Transport hat heute 530 Mitarbeitende, manche kommen aus dem Elsass und aus Baden. Wer seine Leute halten will, muss sich um sie kümmern, das wissen sie bei BLT. Die Mitarbeitenden bekommen viel Aufmerksamkeit. Man grillt gemeinsam im August, man feiert gemeinsam Weihnachten, und regelmässig gibt es «Zmörgele mit dem Direktor», der Andrang ist gross. Kümmern heisst laut Büttiker auch: Die Führung sorge für eine angstfreie Kultur. «Man darf auch Fehler machen!»
Tram- oder Busfahrer – der Job ist erfüllend, und er fordert viel. Der frühe Dienstbeginn: vier Uhr. Der Schichtbetrieb. Die Monotonie der Routen, die immer gleichen Schleifen. Und die Einsamkeit im Führerstand, wie Büttiker es nennt.
So schliesst sich der Kreis
«Wir müssen die Leute wachhalten, damit sie nicht in Routine abgleiten», sagt der CEO. «Sie brauchen Anregung, Abwechslung, Befriedigung.» Aus diesem Grund gibt es seit ein paar Jahren ein internes Förderprogramm, den BLT-Campus. Alexandra Gasser kommt ins Schwärmen, wenn sie davon spricht. Die Mitarbeitenden erhalten zusätzliche Funktionen, sie sorgen etwa für Sicherheit, kontrollieren Tickets, begleiten als Instruktoren die Neuen bei ihren ersten Fahrten, und wer bislang Busfahrer war, lernt nun auch das Tram zu lenken. Und umgekehrt.
Eine hauseigene Weiterbildung für Fach- und Führungskräfte gibt es ebenfalls. Und eine für Talente. Gasser: «Wir fragen uns: Welche Karrierefahrt ist für sie oder ihn möglich?» Die neuen Experten unterrichten bald andere Mitarbeitende. Die künftigen Tramführer zum Beispiel werden von BLT-Leuten trainiert.
Die Firma hätte so etwas wie das Campus-Programm auch kaufen können, sagt Gasser. «Aber wir machen es selbst. Wir geben das Wissen im Haus weiter, mit Herzblut. So schliesst sich der Kreis. Verstehen Sie?» Natürlich. «Es ist wie mit Marmelade: Man kann sie im Laden kaufen, oder man kocht sie daheim.» Und wer sie kostet, schmeckt den Unterschied, liesse sich hinzusetzen.
Achtung, eine interne Durchsage
Gesundheit: Auch das ist ein grosses Thema bei BLT. Wenn sich jemand am Morgen nicht gut fühlt, kann er oder sie daheimbleiben, fünf Tage ohne Krankenschein. Vor drei Jahren, berichtet Alexandra Gasser, wurde eine Stelle für eine Case-Managerin geschaffen. «Sie ist Ansprechpartnerin für den Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden.» Das heisst: Sie wird aktiv, wenn es dort Probleme gibt, sie unterstützt Mitarbeitende gegenüber Versicherung und Ämtern, bei längeren Leiden kümmert sie sich auch um den Wiedereinstieg. Work-Life- Balance: Für Alexandra Gasser ist das nicht nur ein Schlagwort.
Bisweilen wird die Personalchefin im Gespräch emotional. Sie sei mit Schwester und Schwager in Basel gewesen, erzählt Alexandra Gasser. Die Zehnerlinie kam, die Tramführerin gab Signal, «Dring-dring!», und sie winkte. «Was ist da los?», fragte der Schwager. «Sie kennt mich», sagte Gasser. «Das ist eine Arbeitskollegin von mir.» Ein andermal war sie mit Mann und Koffer auf dem Weg zum Flughafen. «‹Achtung, eine interne Durchsage!›, hiess es plötzlich im Tram. ‹Wir wünschen einen angenehmen Urlaub! Erhol dich gut.› Sie hat mich gemeint! Ja, ich bin stolz – auf den Betrieb und meine Mitarbeitenden. Ich fühle mich sehr verbunden.»
«Wir geben das Wissen im Haus weiter, mit Herzblut»
Kopf und Bauch
Motivation und Leidenschaft – was das heisst, spürt man bei einem Rundgang. In Oberwil liegt alles an einem Ort: Büros, Leitstelle, Depot und Werkstatt. «Kopf und Bauch», wie Büttiker sagt.
Besuch in der Leitstelle. Zwei Männer vor einem Dutzend Monitore, ein paar Bildschirme hängen gross an der Wand. Auf vielen sieht man je ein Stück Streckennetz. Über einen Monitor, eine Landkarte, zuckeln Quadrate mit den Codes für Fahrzeug, Route, Position. Grün, orange oder rot sind die Fahrzeuge, die Quadrate: planmässig oder nicht. Service 58/1 nahe Klosterfiechten leuchtet orange: zwei Minuten Verspätung.
«Tango» oder «Sänfte»
Was ist das Besondere an BLT? «Die Abwechslung», meint Wasser. «Und die Entwicklung. Ich habe 1999 hier angefangen. Der Unterschied zu heute, das sind Welten! Wir fahren zum Teil im Drei-Minuten-Takt. Und das hat mir immer gefallen: Als Wagenführer bin ich draussen mein eigener Chef.»
«Der Verkehrskollaps droht, ein Wandel ist nötig.»

Sein Chef Andreas Büttiker wird im nächsten Jahr 63. Mister BLT geht in Pension, nach 27 Jahren an der Spitze. Was tut so ein umtriebiger Mensch? Er will Italienisch lernen, will segeln, wandern. Er wird mehr für die Familie da sein, für die sechs Söhne. Und er hat ja noch ein paar Jobs, als Verwaltungsrat etwa beim Energieversorger Primeo Energie, dort ist er Präsident.
Büttiker eilt hinaus aus der Leitstelle und hinein ins Depot, durch unfassbar saubere Hallen, in denen Kopf an Kopf und blitzblank geputzt die Busse oder Trams ruhen, Triebwagen, die «Tango» oder «Sänfte» heissen, rot und gelb und blau und weiss, sie träumen von der nächsten Fahrt. Büttiker ist schon im Nostalgiezug, Birseckbahn, Baujahr 902. «Schauen Sie nur», ruft er, «das Leder der Griffe! Und die Mechanik der Lüftung, so einfach, so genial! Und all die feinen Hölzer.» Und plötzlich – ade! – ist er fort, der nächste Termin wartet, die nächste Idee. Ein letzter Spruch hallt noch nach: «Wir müssen jeden Tag an uns arbeiten!»