Wir alle haben während der Hitzewelle im vergangenen August geächzt und gelitten. Für viele Menschen waren die extremen Temperaturen traumatisch, für manche sogar tödlich. In Griechenland kämpften Feuerwehrleute in nur einer Woche mit über achtzig Waldbränden. Dörfer mussten evakuiert, Touristen und Touristinnen in ihre Länder rückgeführt werden, mindestens 28 Menschen starben. Dramatische Ereignisse gab es auch in vielen anderen Staaten.
Feuertornados verschlimmern Brände
Wie ist die Lage in der Schweiz? Bislang haben erst einzelne Kantone Erfahrung mit Waldbränden gesammelt – Graubünden, das Wallis und vor allem das Tessin. Im Februar 2022 brannte es zum Beispiel in Gambarogno, nahe der italienischen Grenze. Erst nach Tagen konnten Spezialisten das Feuer mithilfe von
zwei italienischen Löschflugzeugen unter Kontrolle bringen. Im Juli 2023 kam es zu einem grossen Brand im Oberwallis, der niederschlag-ärmsten Gegend der Schweiz. Dies zeigt, wie die zunehmende Hitze und Trockenheit auch bei uns die Waldbrandgefahr erhöht. Wenig überraschend, dass das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) Waldbrände mittlerweile zu den grössten Risiken für das Land überhaupt zählt.
«In den kommenden Jahren werden solche Waldbrände in der Schweiz zunehmen – auch an Orten, wo dies bislang nicht vorkamen.» Das sagt Christine Eriksen, Professorin für Geografie an der Universität Bern. Sie ist auf einer Farm in Dänemark aufgewachsen, später lebte sie lange in Australien und untersuchte dort ausgiebig die sozialen Ursachen und Konsequenzen grosser Buschfeuer.
Seit über fünfzehn Jahren forscht Eriksen zu Waldbränden. «Manche sind mittlerweile so heiss, dass sie ihr eigenes Mikroklima schaffen, mit Feuertornados und extrem starken Winden.» Erprobte Strategien der Bekämpfung würden unter diesen neuen Bedingungen nicht mehr funktionieren. «Folgen die Feuerwehrleute den bewährten Regeln, positionieren sie sich vielleicht falsch und werden plötzlich vom Brand eingekesselt.» Das Risiko bei Einsätzen steige damit stark an.
Die Barriere der Alpen fällt
Für das steigende Feuerrisiko sind nach Ansicht der Forscherin auch soziale Faktoren verantwortlich.
Weil viele Flächen in den Alpen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden, konnten dort wieder Bäume wachsen. Das bedeutet mehr Holz, mehr Brennstoff. Hinzu kommen Schädlinge, wie der Borkenkäfer. Die Hitze schwächt die Bäume, dadurch kann sich der Käfer besser ausbreiten und so ganze Wälder zerstören. Totholz wirkt bei Feuer aber wie Zunder und steigert die Intensität von Waldbränden. Eriksen spricht von Rückkoppelungen zwischen Landnutzung, Baum-sterben und dem heisseren und trockeneren Klima.
Die Forscherin geht davon aus, dass aufgrund dieser Effekte Waldbrände in naher Zukunft die natürliche Barriere der Alpen überqueren werden. Damit könnten dann auch Bern oder Luzern betroffen sein, also Kantone, die wesentlich weniger Erfahrung in der Bekämpfung von Waldbränden haben.
Kooperation senkt Risiken
Kooperationen über die Kantons- und Landesgrenzen hinweg werden immer wichtiger, sagt die Expertin. «Zivilschutz und Feuerwehr einer Region kommen oft nicht mehr al- lein mit den Bränden zurecht. Sie brauchen externe Hilfe.» Doch aufgrund des föderalen Systems habe die Schweiz heute 26 eigenständige Zivilschutzorganisationen. Ausser- dem ist sie nicht Teil des sogenannten EU-Katastrophenschutz-verfahrens, mit dem sich Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Hilfe verpflichten. Damit erhöht sich das Risiko, wie eine aktuelle Studie des Center for Security Studies der ETH Zürich zu Zivilschutz und Klimaadaption zeigt.
«Die kantonalen Behörden werden nicht mehr imstande sein, die gesamte Bevölkerung effektiv vor Waldbränden zu schützen.»
Wie schützen wir uns?
Laut Christine Eriksen gibt es ein weiteres Problem: «In der Schweiz waren die Behörden in der Vergangenheit dermassen erfolgreich, Feuerherde im Keim zu ersticken, dass ein Bewusstsein für die Gefahr von Waldbränden weitgehend fehlt.» Genau das könnte künftig zum Problem werden. «Die kantonalen Behörden werden nicht
mehr imstande sein, die gesamte Bevölkerung effektiv vor Waldbränden zu schützen.» Umso wichtiger sei es, die Menschen entsprechend zu schulen: Wie verhält man sich bei einem Waldbrand? Wann ist die richtige Zeit und wo der rich-tige Ort für eine Evakuierung? Wie schützt man sich? Und wie trifft man selbst in extremen Situationen noch rationale Entscheide?
Gute Beispiele auch in Europa
Beim Thema «gemeindebasierte Selbstorganisation» könne die Schweiz von guten Beispielen in Australien, aber auch in Europa lernen, ist Eriksen überzeugt. Etwa von den Aktivitäten der Pau Costa Foundation in Spanien. Seit über zehn Jahren sensibilisiert sie die Bevölkerung mit Kampagnen, Spielen und Workshops gegen die Risi-ken von Waldbränden. Die Stiftung schafft wirtschaftliche Anreize für Hirten, damit sie wie früher ihre Schafe und Ziegen wieder durch Weiden und Wälder führen, um da- mit das Gras zu entfernen, das eine potenzielle Feuerquelle ist. Oder indem Kinder spielerisch lernen, welchen Unterschied es macht, ob ein Wald verwildert oder krank ist oder ob dieser bewusst gepflegt wird. Unter Anleitung pflanzen sie zum Beispiel unterschiedliche Baumarten und entfernen frühzeitig Totholz. Eriksen sieht aber auch Vorbilder im eigenen Land: «Die meisten in der Schweiz wissen, wie man mit Lawinenrisiken umgeht – und sie verhalten sich auch entsprechend. In diesem Fall hat die Sensibilisierung auf eine Natur-gefahr hin gut funktioniert.»
So wirkt der Klimawandel auf die Schweiz
Die Schweiz ist stark von der Klimakrise betroffen.
Die durchschnittliche Temperatur ist seit Beginn der Industrialisierung um zwei Grad Celsius gestiegen (globaler Durchschnitt: 1,2 °C). In höher gelegenen Regionen, wie den Alpen, ist die Erwärmung noch stärker. Die Schweiz erlebt daher zunehmend heissere Sommer mit weniger Niederschlägen. Die Böden trocknen aus und der Wasserstand der Flüsse sinkt. Weil wärmere Luft mehr Wasser speichern kann, nimmt gleichzeitig das Risiko extremer Wetterereignisse wie von heftigen Niederschlägen und Stürmen deutlich zu – und damit auch Überschwemmungen und Erdrutsche. Das zeigt die Statistik: 2007 wurden in der Schweiz 26 Extremwetterereignisse registriert (Hagel, Starkregen, Starkwinde, Tornados, zerstörerische Blitze, Lawinen, Schnee- und Sandstürme). 2012 waren es 125 und zehn Jahre später bereits 922.
In diesen Zahlen sind Waldbrände noch nicht einmal enthalten. 2020 warnte die EU-Umweltschutzbehörde: infolge der globalen Erhitzung würden Waldbrände in den meisten Regionen Europas intensiver werden, länger andauern und sich stärker ausbreiten. Im Sommer 2022 brannten in EU-Ländern über 9000 km² Land. Das ist rund siebzehnmal so viel wie die Fläche des Kantons Basel-Landschaft.